Rezension: Katholische Krankenpflege im Spannungsfeld säkularer Tendenzen

Autor/innen

  • Hubert Kolling Autor/in

Abstract

Bettina Blessing: Katholische Krankenpflege im Spannungsfeld säkularer Tendenzen. Die Münchener Barmherzigen Brüder und Elisabethinerinnen von der Mitte des 18. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts (Münchener Kirchenhistorische Studien. Neue Folge, Band 13). Verlag W. Kohlhammer. Stuttgart 2024, 521 S., broschiert, 69,00 €, ISBN 978-3-17-044698-4

 

Angesichts der Tatsache, dass es in Deutschland – auch drei Jahrzehnte nach der erfolgten Akademisierung des Faches an Fachhochschulen und Universitäten – noch immer keinen Lehrstuhl für die Geschichte (und Ethik) der Krankenpflege gibt, hält sich die Zahl entsprechender Studien stark in Grenzen. Um so erfreulicher ist es, dass die Historikerin Bettina Blessing die katholische Krankenpflege im Spannungsfeld säkularer Tendenzen in den Blick genommen und hierzu nun eine fundierte Monographie vorgelegt hat.

Die Autorin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Universität München, schloss ihr Studium der Geschichte und Kulturwissenschaften in Regensburg 1994 mit dem Magister ab und promovierte – mit einem Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Instituts für Europäische Geschichte (Mainz) – 2002 an der Justus-Liebig-Universität Gießen zum Dr. phil. mit der Untersuchung „In Amt und Würden. Die Bediensteten der Stadt Regensburg von 1660 bis 1802/10“ (Regensburg 2005). Während ihrer anschließenden Tätigkeit am Institut für Geschichte der Medizin (IGM) der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart veröffentlichte sie unter anderem das Buch „Wege der homöopathischen Arzneimitteltherapie“ (Berlin 2010), in dem sie den historischen Entwicklungsprozess homöopathischer Therapieformen bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs untersucht.

Zu ihrem aktuellen Forschungsschwerpunkt, der Sozialgeschichte männlicher und weiblicher Orden, veröffentlichte Blessing bereits etliche Buch- und Zeitschriftenbeiträge, darunter etwa in dem von Sylvelyn Hähner-Rombach (1959-2019) herausgegebenen Band „Quellen zur Geschichte der Krankenpflege“ (Frankfurt am Main 2008), in „Medizin, Gesellschaft und Geschichte“ (dem Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung) sowie in den Fachzeitschriften „Geschichte der Pflege. Das Journal für historische Forschung der Pflege- und Gesundheitsberufe“ und „Die Schwester Der Pfleger“.

Im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehen die Orden, die es sich in der Frühen Neuzeit zur Aufgabe machten, arme Kranke zu pflegen. Aufgrund der guten Quellenlage wählte die Autorin hierzu als Fallbeispiele die Barmherzigen Brüder und die Elisabetherinnen in München aus. Ihr Untersuchungszeitraum erstreckt sich von der Mitte des 18. Jahrhunderts, dem Zeitpunkt ihrer Niederlassung in München, bis zur Auflösung der Konvente zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Um Aufschluss über die klösterlichen Praktiken zu gewinnen, nimmt Blessing mitunter ergänzend auf die Barmherzigen Brüder in Bruchsal (Fürstbistum Speyer) und auf die Elisabetherinnen in Straubing (Niederbayern) Bezug.

In ihrer durch zahlreiche Kapitel und Unterkapitel übersichtlich gegliederten Untersuchung wendet die Autorin – nach der Einleitung mit Hinweisen zum Forschungsziel, zu Quellen und Methoden sowie einem Überblick zum Forschungsstand – sich zunächst der „Frömmigkeit“ (Gelübde, Frömmigkeitspraktiken und Katholische Krankenpflege) zu, bevor sie der Frage nachgeht, warum es in einem katholischen Territorium wie in Bayern nur wenige Ordensspitäler gab und wie deren Finanzierungsmodelle aussah.

Neben diesen gesellschaftspolitischen Aspekten war für Blessing die Motivation von besonderem Interesse, die die Brüder und Schwestern veranlassten, ihr Leben in einem Kloster zu verbringen. In diesem Zusammenhang analysiert sie die endogenen und exogenen Bedingungsfaktoren ihrer „Berufswahl“ und fragt danach, ob ihrer Entscheidung eine Wahlfreiheit zugrunde lag und welche Alternativen sich ihnen boten. Zudem wollte die Autorin Aufschluss darüber gewinnen, ob der Eintritt in einen Hospitalorden ausschließlich auf religiösen Motiven beruhte und die Krankenpflege eine zu vernachlässigende Größe darstellte oder ob es sich im Zeitalter der Aufklärung umgekehrt verhielt, ebenso wie das Anforderungsprofil aussah, das die Orden an ihre künftigen Mitglieder stellten, und welche Qualifikationen die Bewerber:innen mitbringen mussten, um in einem Hospitalorden Aufnahme zu finden.

Davon ausgehend, dass jedes Kloster, insbesondere aber jene, die Kranke pflegten, einer „arbeitsorganisatorischen Rationalisierung“ und somit der Zuweisung von Aufgaben an ihre Mitglieder bedurfte, befasst Blessing sich auch mit den klösterlichen Amtsstrukturen. Dabei eruiert sie, welche Positionen erstrebenswert und welche Voraussetzungen an die Ämter geknüpft waren.

Im Fokus der Arbeit steht sodann die christlich motivierte Krankenpflege, die sich sowohl auf die Seele als auch auf den Körper des Kranken bezieht. Im Hinblick auf die Frage, wie die Organisation des Krankendienstes in einem Ordenshospital des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts aussah und welche Behandlung die Kranken erfuhren, beleuchtet die Autorin, wie der christliche Auftrag, den Kranken wie Jesus Christus zu pflegen, in der Realität umgesetzt wurde. In diesem Kontext fragt sie auch danach, wie sich der Pflegeprozess gestaltete, wie die Betreuung der Kranken aussah, welche Pflegekonzepte ihrer Versorgung zugrunde lagen und wie das Verhältnis der Ordensleute zu den ordinierenden Spitalärzten aussah. Zudem analysiert Blessing, wie sich der medizinische und pflegerische Wissenstransfer zwischen Kloster und Welt vollzog und welche Verarbeitungsstrategien und Bewältigungskonzepte die Ordensleuten im täglichen Umgang mit Krankheit und Leid hatten.

Die Autorin thematisiert schließlich auch das zeitgenössische Ansehen, das die Hospitalbrüder und -schwestern in der Öffentlichkeit genossen, wie sich der zunehmende Einfluss des Staates auf die Konvente und ihre Spitäler auswirkte und wie der Staat die Konvente nach und nach ihrer Autonomie beraubte, bis er sie schließlich 1809 auflöste und ihr mobiles und immobiles Vermögen in den Besitz nahm, um eigene Projekte zu verwirklichen.

Die Arbeit, deren Drucklegung von der St. Katharinenspitalstiftung Regensburg, dem Provinzialat der Barmherzigen Brüder in Bayern sowie von der Ernst-Pietsch-Stiftung Deggendorf gefördert wurde, basiert auf breiter Quellenbasis, wobei Blessing neben zeitgenössischen Publikationen umfangreiche Quellenbestände aus dem Archiv des Erzbistums München und Freising, des Bayerischen Hauptstaatsarchivs München, des Stadtarchiv München sowie des Provinzialatarchivs der Barmherzigen Brüder in München heranzog und auswertete.

Die Studie, die durch einen Anhang mit einem Quellen-, Literatur- und Schlagwortverzeichnis ergänzt wird, verfügt über einen soliden Anmerkungsapparat mit gut 2.000 Einträgen. Ergänzend hierzu hätte man sich ediglich noch zu den im Text genannten beziehungsweise zitierten Personen, darunter etwa Johann Friedrich Diefenbach (1792-1842), Eduard Dietrich (1860-1947), Lavinia Loyd Dock (1858-1957), Anton Ehl (1882-1965), Gabriel Graf von Ferrara (1545-1627), Carl Emil Gedike (1797-1867), Franz Xaver Haeberl (1759-1846), Heinrich Haeser (1811-1884), Liselotte Katscher (1915-2012), Franz Anton Mai (1742-1814), Mary Adelaide Nutting (1858-1948), Apollonia Radermecher (1571-1626) und Rudolf Virchow (1821-1902), Hinweise auf die entsprechenden Beiträge im – inzwischen zehn Bände umfassenden – „Biographische Lexikon der Pflegegeschichte. Who was who in nursing history“ gewünscht.

Insgesamt ist es Blessing am Beispiel der beiden genannten Orden eindrücklich gelungen, die Entwicklung von Krankenpflege im Spannungsfeld zwischen dem aus dem eigenen Selbstverständnis rührenden Auftrag, Armen und Kranken wie Christus selbst zu begegnen, und dem zunehmenden Einfluss des Staates, der im Zuge der Säkularisation zur Schließung vieler Konvente führte, darzulegen. Wie sie hierbei zeigt, stellten der Orden der Elisabethinnen und der Orden der Barmherzigen Brüder in München zum Ende des 18. Jahrhunderts in der Residenzstadt 40 Prozent der stationären Betten. Während die Ordensbrüder ausschließlich arme, männliche Kranke versorgten, pflegten die Ordensfrauen ausschließlich arme, weibliche Kranke. Dies ist um so erstaunlicher, als sie in Bayern keineswegs mit offenen Armen empfangen wurden. Die den Brüdern und Schwestern bei ihrer Ansiedlung entgegengebrachte Feindseligkeiten habe dazu geführt, so die Autorin, dass Ordensspitäler in Bayern nicht weitverbreitet waren. Da die bayerischen Brüder und Schwestern sich und ihre Kranken selber finanzieren mussten, seien sie auf Spenden angewiesen gewesen und somit eine Konkurrenz zu kommunalen Einrichtungen, die ebenfalls von Spenden abhängig waren.

Nach der Darstellung von Blessing bezog sich die von den Brüdern und Schwestern auszuführende Pflege nicht nur auf den Körper der Kranken, sondern auch auf ihre Seele: „So hatten die Religiosen ihre Kranken über Gott zu unterrichten sowie ihnen die Erlangung des ewigen Seelenheils vor Augen zu führen und sie zu geistlichen Gesprächen zu motivieren“ (S. 460).

Grundsätzlich seien alle Ordensmitglieder zur Krankenpflege verpflichtet gewesen. Als von Gott Auserwählte hätten die Hospitalbrüder und -schwestern vor ihm nur bestehen können, wenn sie ihren Kranken eine gute Pflege zukommen ließen. Allerdings hätten sie sich gegenüber ihren Kranken nicht zu gefühlvoll zeigen dürfen: „Über die Pflege des Kranken war es den Brüdern und Schwestern nicht erlaubt, Gott zu vergessen, da sonst der Ordensgeist verloren ging. Aus diesem Grund hatten die Ordensleute auch mit ihren Kräften hauszuhalten und sich vor Übermüdung zu schützen“ (S. 462). Überarbeitung und Erschöpfung hätten die Gefahr geborgen, dass sich die Hospitalbrüder und -schwestern nicht mehr auf ihr geistliches Leben konzentrierten und somit vom Weg Gottes abwichen. Unterdessen sei es in der Realität aber sehr wohl vorgekommen, so die Autorin, dass die Brüder und Schwestern gegen das christliche Pflegeethos verstießen; an der Tagesordnung seien derartige Überschreitungen aber nicht gewesen.

Obwohl die Krankenpflege für die Daseinsberechtigung der Hospitalorden von zentraler Bedeutung war, nahm laut Blessing „das Amt des Krankenwärters beziehungsweise das der Krankenwärterin in der klösterlichen Amtshierarchie keine herausragende Position“ (S. 463) ein. Vereinzelt vorkommende Verstöße gegen die klösterlichen Normen dürften nicht nur unter dem Aspekt des Sittenverfalls gesehen werden. Vielmehr sei es die Aufklärung gewesen, die auch in den Klöstern ihre Spuren hinterließ: „So stellte eine Reihe Ordensleute althergebrachte Traditionen in Frage. Sie begannen, die individuelle Lebensführung zum Ideal zu erklären“ (S. 465).

Die Aufhebung der Münchener Ordensspitäler im Zuge der Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts (1809) beruhte nach Ansicht der Autorin „letztlich auf drei Faktoren“ (S. 466). Zum einen habe das Dominanzstreben des Spitalarztes der Barmherzigen Brüder und der Elisabethinerinnen zur Auflösung ihrer Institute geführt. Des Weiteren habe das „unbrüderliche“ beziehungsweise das „unschwesterliche“ Verhalten der Religiosen zur Auflösung beider Häuser beigetragen. Vor allem aber seien die klösterlichen Prinzipien nicht mehr mit den Zielen und Aufgaben der Regierung vereinbar gewesen. Ihr habe es vor allem widerstrebt, keinen entscheidenden Einfluss auf das klösterliche Hospitalwesen und die klösterliche Finanzpolitik nehmen zu können.

Unterdessen hinterließ die Auflösung der Ordensspitäler „Versorgungslücken in der Krankenpflege“. Bereits bei Aufhebung seien sich die Verantwortlichen bewusst gewesen, „dass die weltliche Pflege keine besseren Ergebnisse als die Ordenspflege erzielen würde. Konflikte mit weltlichen Krankenwärterinnen sollten die Vermutung bestätigen“ (S. 467). Während es den Barmherzigen Brüder erst gute 100 Jahre später in München wieder gelang, ein Krankenhaus zu errichten, war dies den Elisabethinerinnen nicht mehr möglich. Statt ihrer war zu Beginn der 1830er Jahre die Kongregation der Vinzentinerinnen in das neu errichtete Allgemeine Krankenhaus Münchens gekommen.

Mit der vorliegenden Studie, die als Band 13 der „Münchener Kirchenhistorische Studien. Neue Folge“ erscheint, hat Bettina Blessing einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Krankenpflege geleistet. Ihre umfangreiche, gelungene Veröffentlichung ist dabei umso bedeutender, als die Forschung des 20. und 21. Jahrhunderts – abgesehen von zahlreichen jubiläumsfixierten Schriften – der Krankenpflege beziehungsweise den Hospitalorden der Frühen Neuzeit und ihrem Wirken im deutschsprachigen Raum bisher nur wenig Aufmerksamkeit schenkte.

Eine Rezension von Dr. Hubert Kolling

Veröffentlicht

2024-12-19

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Rezension: Katholische Krankenpflege im Spannungsfeld säkularer Tendenzen. (2024). Geschichte Der Gesundheitsberufe, 2(2). https://manuskripte.hpsmedia-verlag.de/index.php/gdg/article/view/206